“Ich bin nicht krank, nur weil ich transsexuell bin”
Liandro Liam Lang aus Neustadt/WN ist ein Transmann. Was heißt das, für ihn und für andere?
"Warum bist du so?"
Eine Frage, die Liandro Liam Lang aus Neustadt an der Waldnaab schon oft gehört hat. Zu oft. Diese Frage sei das Einzige, was ihn von anderen Menschen unterscheidet, schreibt er auf seiner Facebook-Seite. “Es gibt keine Antwort auf dieses ‘Warum?’ Warum bist du schwul? Warum bist du hetero? Warum liebst du die Person? Über sowas hat man keine Macht und darüber möchte ich auch niemals eine Macht besitzen.”
Liandro ist transsexuell, genauer gesagt ein Transmann: Geboren im Körper eines Mädchens, doch eigentlich schon immer ein Junge, mit 20 Jahren heute ein junger Mann. “Früher wollte ich da gar nicht drüber reden”, erzählt er. “Ich habe mich zwar niemals versteckt, aber mit anderen darüber reden wollte ich nicht.” Inzwischen möchte er reden. Möchte, dass ihm zugehört wird. Deshalb hat er seine Facebook-Seite gestartet, auf der er über seine Transsexualität schreibt.
Transsexualität hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun
Wer sich über dieses Thema unterhalten möchte, muss sich erst einmal über die Begrifflichkeiten im Klaren sein. Allzu leicht ist es, hier in Fettnäpfchen zu treten - oder gar zu diskriminieren, sei es aus Unwissenheit. Transgender ist nicht automatisch gleich Transsexualität. Und gar nichts zu tun hat Transsexualität mit Transvestitismus oder Zwittern.
Transsexualität und geschlechtliche Identität haben auch nichts mit sexueller Orientierung zu tun. Ein Transmann oder eine Transfrau steht nicht automatisch auf Frauen oder Männer. Ihre sexuelle Orientierung ist genauso individuell wie bei Nicht-Transfrauen und -männern.
Liandro, Spitzname Lino, ist ein echter Oberpfälzer: geboren in Weiden, aufgewachsen bei Luhe-Wildenau, wohnhaft in Neustadt/WN. Der 20-Jährige fährt hobbymäßig gerne Kart, kickt ab und zu einen Fußball und geht gerne shoppen. “Ich hab einen kleinen Kleider-Fetisch”, sagt er und grinst. Vor allem Caps haben es ihm angetan: “Ohne kriegt man mich eigentlich nicht zu sehen.”
Liandro mit Sonnenbrille, Cap und Tank-Top. Das Foto entstand im Juni 2015 und zeigt einen besonderen Moment: “Das erste Mal nur im Tank-Top draußen! Da musste ein Lachen schon mal her für diesen Erfolg und diese Freiheit. Denn das kann man nicht kaufen. Man(n) muss es erreichen”, schreibt er dazu bei Facebook. Er grinst auch heute noch, wenn er an dieses Erlebnis denkt: “Ein gutes Gefühl.”
Transsexuell in der Oberpfalz - wie schwierig ist das?
Ob es als Transmann in Berlin einfacher wäre als in der Oberpfalz? “Man hätte in der Großstadt alles mehr in der Nähe”, sagt er nach kurzem Überlegen. In München zum Beispiel gebe es Stammtische und Trans-Zentren, in der Oberpfalz könne man die Möglichkeiten und Gleichgesinnten an einer Hand abzählen.
Aber das Internet verbindet, in Form von Foren, Facebook-Gruppen und -Seiten. “Denn alles weiß man auch nicht”, sagt Liandro. Es gibt Fragen zu stellen, viele Fragen. Im Internet wird er sie los, bekommt Antworten. Was man von dem 20-Jährigen nicht hört: Schimpfereien über Intoleranz auf dem Land, dabei hat er davon sicher einiges erlebt. Er lässt das aber nicht mehr so an sich heran wie früher.
So selbstsicher, vor allem nach außen, war Liandro nicht immer. Aber er wusste schon immer, wer er ist.
Liandro Liam mit einem Kinderfoto von ihm. Damals hieß er noch Celina.
"Ich habe schon im Alter von drei Jahren gewusst, dass ich ein Junge bin”, erzählt Liandro. “Meinen Großeltern habe ich immer gesagt ‘Ich bin ein Junge’, wenn sie meinten, ich sei doch ein Mädchen. Und meine Mutter habe ich schon als Kind gefragt, wann mir denn ein Schniedel wächst.” Der Körper hat damals nicht zur inneren Identität gepasst. Liandro hieß auch noch Celina.
In der Grundschule trug Liandro Jungsklamotten und kurze Haare. Er spielte Fußball in einer Jungenmannschaft und fuhr Kart. “Niemand wäre darauf gekommen, dass ich kein Junge bin - bis auf den Vornamen. Ab der siebten Klasse habe ich dann drauf bestanden, dass man mich Lino nennt. Auch die Lehrkräfte”, erzählt er. “In meiner Kindheit ist es eigentlich nicht passiert, dass ich abgestempelt wurde. Und meiner Mutter war von vorneherein klar, was Sache ist. Auch meine Großmutter wusste: ‘Es musste so kommen.’”
“Familie ist der größte Besitz”
Der familiäre Rückhalt, er hat Liandro immer Kraft gegeben. Tut es noch heute: “Familie ist der größte Besitz. Das ist alles, was zählt”, sagt er. Ohne sie wäre es ihm vermutlich schlechter gegangen. Nicht wenige andere Transmänner und -frauen müssen ohne diesen Rückhalt klar kommen. Liandro hat Glück. Seine engsten Begleiter sind seine Mutter und seine Cousine. Denen ist er heute noch sehr dankbar, sie sind seine Stütze im nahen Umfeld.
Und die hat er phasenweise gebraucht. Denn die Jugend war für Liandro schwieriger als die Kindheit. “Die Pubertät war das Schlimmste. Pubertierende Kinder meinen immer, sie sind cool. Das hat auch viel mit Mitläuferei zu tun.” Details zu dem, was er durchmachen musste, lässt er aus. “Ich war im Teenageralter depressiv. Man musste keine Angst um mich haben, aber man hat gemerkt, dass ich nicht glücklich war.”
Die Antwort auf diese Frage müsste wohl lauten: Kommt drauf an, wen man fragt. Fragt man einen Transsexuellen, wird er höchstwahrscheinlich mit “Nein” antworten. Fragt man im Jahr 2015 die Krankenkassen, lautet die Antwort: “Ja”.
Tatsächlich ist Transsexualität per deutschem Gesetz und gemäß der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen internationalen Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen als psychische Krankheit definiert. Transsexuelle gelten als “geschlechtsidentitätsgestörte” Frauen oder Männer. Heißt: Sie gelten als psychisch kranke, behandlungsdürftige Menschen - unabhängig davon, ob sie sich selbst so definieren würden und ebenfalls unabhängig davon, ob es psychopathologische Befunde gibt. “Ihnen wird also vom Staat nicht zugestanden, ihre Geschlechtsidentität autonom selbst zu bestimmen, Experten ihres eigenen Zustandes zu sein”, heißt es bei Wikipedia zum Begriff “Transphobie”.
Es gibt keine allgemein gültige Ursache für Transsexualität
In der Medizin wird die Einordnung als psychische Krankheit inzwischen diskutiert, auch in Deutschland. Einige Mediziner sehen eine vorgeburtliche Prägung als wahrscheinlichste Ursache für Transsexualität, die nicht mehr zu ändern, also auch nicht “heilbar” ist. An dieser Sichtweise gibt es wiederum Kritik. Theorien gibt es unzählige, dennoch ist keine davon wirklich haltbar. Fest stehen zwei Dinge: Eine allgemein gültige Ursache für Transsexualität ist nicht bekannt, eine “Heilung” durch Psychiatrie unmöglich. Das weiß auch Liandro: “Es hat keinen Sinn, wenn man bei einem Psychologen landet, der versucht, einem die Transsexualität auszureden. Er muss einen vielmehr bestärken, unterstützen.” Es hieße zwar “Therapie”, aber eigentlich handle es sich um “Unterstützung”. Die Experten, mit denen er zu tun hatte, seien da “ziemlich professionell” gewesen.
Es gibt also gute Gründe, vorsichtig zu sein bei der Annahme, transsexuelle Menschen seien krank. Ihre Lebensläufe sind nicht weniger individuell als sonst auch in der Gesellschaft. Wenn psychische Erkrankungen wie Depressionen vorliegen, hängen diese meist mit Erfahrungen im Umfeld und inneren Spannungen aufgrund der Transsexualität zusammen als dass sie umgekehrt ursächlich für eine Transsexualität wären. Entsprechend verringert sich der Leidensdruck in der Regel oder hebt sich gar vollständig auf, wenn geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt werden.
Die Einordnung der Transsexualität als psychische Krankheit wird ganz aktuell auch auf höherer Ebene überarbeitet. Das Ziel: Gleichstellung auf rechtlicher und sozialer Ebene.
Wer transsexuell ist, wohnt in einem Körper, der meist als nicht zur Person passend empfunden wird. Aber das ist noch nicht alles: Er oder sie trägt auch einen Vornamen, der nicht passt und der oft samt Geschlecht auf Zeugnissen, Ausweisen, Pässen, in Lebensläufen und allen wichtigen Dokumenten steht und bei den Ämtern hinterlegt ist.
Liandro war Celina. Auch dann noch, als er sich äußerlich schon seit vielen Jahren nicht mehr als Mädchen kleidete und frisierte. Und wie viele Transsexuelle wollte Liandro nicht, dass das so bleibt. Aus Celina sollte Liandro werden. Möglich macht dies das Transsexuellengesetz.
Dieses legt seit 1981 fest, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Name und Identität zusammen passen. Zwei mögliche Verfahren gibt es:
- Die “kleine Lösung” beinhaltet die Änderung des Vornamens.
- Die “große Lösung” beinhaltet die Änderung des Personenstands, bestimmt also, ob jemand rechtlich männlich oder weiblich ist.
Das geht allerdings nicht “mal eben so”. Die Verfahren für die Änderungen finden vor den zuständigen Amtsgerichten statt. Und für die “große Lösung” benötigen Transsexuelle psychiatrische Gutachten. Damit hat auch Liandro Erfahrung.
“Wie viel muss man da über sich ergehen lassen?” - “Zu viel.”
Er holt einen Ordner aus einem Regal. “Zu viel” sagt er ohne Zögern auf die Frage, wie viel man da über sich ergehen lassen muss an Fragen, Untersuchungen. Sein Verfahren für die “große Lösung” hat vor dem Amtsgericht Nürnberg stattgefunden. “Dort habe ich meinen Antrag gestellt. Und dann gab’s erstmal eine Ladung beim Richter”, erzählt er und blättert in den Unterlagen. Danach waren gleich zwei Gutachter zuständig, einer in Nürnberg, der andere in Regensburg. Und es hagelte Fragen. Monatelang. Bis das Verfahren im Mai 2015 abgeschlossen war, musste fast ein Jahr vergehen. “Das hat mich zeitlich total zurück geworfen”, so Liandro. Wer eine geschlechtsangleichende Operation machen lassen möchte, braucht ein abgeschlossenes Verfahren zur Änderung von Vornamen und Personenstand.
Gespräche, IQ-Test, Verhalten, Fantasie-Test, innere Verfassung - alles wurde untersucht, gemessen, beurteilt. Auch einen Rorschachtest musste Liandro machen. “Ab und zu dachte ich schon, ob die Fragen wirklich ernst gemeint sind”, sagt er heute. “Manche davon waren schon zu intim.” Andere von außen kaum nachvollziehbar. Zum Beispiel die nach seiner Verdauung.
Rund 1.000 Fragen hat Liandro beantwortet - für eines der Gutachten. Für das andere waren es “nur” rund 200. “Das Ganze kostet nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld”, weiß Liandro. 5.000 bis 7.000 Euro in seinem Fall. Deshalb hat er, rechtlich völlig einwandfrei, Verfahrenskostenhilfe beantragt.
Das klingt alles schon nach viel Ballast. Allerdings hat das Transsexuellengesetz eine pikante Vergangenheit (s. Kasten rechts). Man muss froh sein, dass es sich entwickelt hat.
Liandro schimpft nicht über seine Gutachter und Therapeuten. Von anderen Transsexuellen wisse er, dass Ärzte ihnen versucht hätten zu erklären: “Du bist das nicht.” “Aber bei mir war das nicht der Fall”, sagt er. Dennoch sei mehr Toleranz gefragt: “Die Menschen müssen verstehen, wir sind Menschen wie alle anderen auch. Nicht: Wir haben einen Hau weg.”
1 Jahr, 1 Monat und 3 Tage. Liandro kann auf den Tag genau sagen, wie lange er schon “auf Testosteron” ist. Im Februar 2014 fing die Behandlung an, zunächst mit Blockern gegen die Produktion der weiblichen Sexualhormone. Zwei Monate später startete der damals 18-Jährige mit Testosteron-Spritzen. Alle zwei Wochen bekommt er das männliche Sexualhormon verabreicht.
“Ich hatte noch nie so nasse Hände aus Angst, noch nie so Herzrasen und noch nie so viel Adrenalin in mir...”
“Gern erinnere ich mich an meine erste Testospritze”, schreibt er bei Facebook. “Ich hatte noch nie so nasse Hände aus Angst, noch nie so Herzrasen und noch nie so viel Adrenalin in mir...” Seit diesem Tag kämpft Liandro mit Nebenwirkungen der Hormonschwankungen: Reizbarkeit, Aggressionen, Stimmungsschwankungen. Klingt nicht nach Spaß. Doch der Kampf lohnt sich: “Seit diesem Tag hat sich alles um 180 Grad gedreht”, schreibt er weiter. “Das war der Start in mein neues, glückliches Leben.” Er habe gedacht, die Namensänderung würde diese Wendung bewirken, doch sie kam erst mit dem Testosteron. Seitdem sei er “wohl der größte Macho, knallhart und direkt”. “Spitze” findet er sich so. Und gibt einen Einblick in sein Gefühlsleben und den Umgang mit Vorurteilen und Diskriminierung: “Damals konnte man mich mit nur blöden Blicken zerstören, heute kriegt mich niemand mehr klein, wohl ein Vorteil am Testo.” Im Gespräch sagt er: “Wo ich früher in Heulattacken gefangen gewesen wäre, passiert das heute nicht mehr. Ich bin ehrlicher, direkter und weniger emotional geworden.”
Doch Liandro weiß auch um die Nachteile des Testosterons: “Kann gar nicht mehr aufzählen, wie viel von meinem Geschirr leiden musste durch die Aggressionen die ich hab/hatte. Wie sehr auch andere durch meine Stimmungsschwankungen leiden mussten”, schreibt er im selben Post bei Facebook. So ganz ist sie eben noch nicht vorbei, die Zerissenheit. Das Hin und Her, das er wohl nicht nur alleine aushalten muss.
“Bin das noch ich? Und wie ich das bin!”
Das Testosteron wirkt auch körperlich. Liandro beobachtet mit Staunen, wie sein Körper sich verändert. Er beschreibt auf seiner Facebook-Seite, “wie erschreckend es ist, dass mein Kopfhaar dünner wird und die Haare ausgehen. Nun sind es ja schon ein Jahr und drei Monate und trotzdem erschrecke ich mich ab und an, wenn ich in den Spiegel schaue.” Kommen Zweifel auf? Die Frage ist schnell beantwortet: “Bart, Gesichtszüge, Stimme, Körperstatur, Charakter - bin das noch ich? Und wie ich das bin! Stärker, besser und schöner wie je zuvor”, schreibt Liandro. “Es ist ein besseres Leben!”
Liandro mit Bartansatz: Das Testosteron zeigt auch äußerlich Wirkung.
“Die meisten Frauen beneiden mich wegen der fehlenden Periode.”
Wie fühlt sich das an, wenn nicht nur der Körper, sondern auch der Charakter und das Denken männlicher werden? “Für mich ist das ein Geschenk”, erzählt Liandro. “Ich kenne beide Gefühls- und Gedankenwelten, die weibliche und die männliche.” Er hat sich vorgenommen, “niemals den Raum mit den weiblichen Gedanken zu schließen”. Die weibliche Sichtweise helfe ihm zum Beispiel dabei, sich in andere hineinzuversetzen. Er höre öfter, dass ihn Leute darum beneiden. Und nicht nur darum: “Die meisten Frauen beneiden mich wegen der ausbleibenden Periode”, grinst er. “Ich glaube, die Wechseljahre habe ich schon durch.” Das Testosteron ist auch eine enorme Belastung für den Körper: Die Hormonbehandlung kann auf die Leber gehen, Thrombosen können sich bilden, die Blutwerte müssen alle sechs Wochen kontrolliert werden.
Ein Stück seiner Lebensgeschichte kann man auch auf Liandros Körper nachlesen.
Liandro provoziert gerne. Er kann zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum so viele Transsexuelle sich erst spät für medizinische Eingriffe entscheiden - durchschnittlich zwischen 30 und 40 Jahren. Vielleicht seien manche davon gar nicht trans-, sondern homosexuell, wollten sich das aber nicht eingestehen. Manchmal blitzt Frust durch, wenn Liandro erzählt oder bei Facebook schreibt. Man merkt, er hat auch einiges durchgemacht. Dennoch wirkt er im Gespräch nicht verbittert. Er hätte den Termin auch nutzen können, den Menschen davon zu erzählen, wie hart einige Erfahrungen waren. Doch er wirkt ruhig und reflektiert.
Tattoos gegen das Vergessen
“Heute gibt es nicht mehr so viele Angriffe wie in meiner Jugend. Ich würde es mir heute aber auch nicht mehr gefallen lassen”, sagt er. Er sei mit seinen Erfahrungen gewachsen. Das Thema Transsexualität sei ein wenig in den Hintergrund gerückt im Alltag. “Aber ich will diese Zeit auch nicht vergessen.” Dabei helfen ihm auch seine Tattoos, die ein Stück seiner Lebensgeschichte widerspiegeln.
“Dir hat man dieses Leben gegeben, weil du stark genug bist, es zu leben” steht auf seinem rechten Oberarm. Man sieht Schwalben und einen Kompass, “Wegweiser und Wegbegleiter”, sagt Liandro. Auch zu sehen sind Flügel und der Spruch “Doch aufgegeben hab ich nie, weil Hoffnung mir Flügel verleiht”. Ein Rosenkranz symbolisiert für ihn Sicherheit, “Family” natürlich die Familie als wichtigsten Schatz im Leben. An den Knien hat er einen tättowierten Anker und ein Ruder, beides für Liandro Zeichen für das Starksein. Auf seine Wade kommt bald eine Frau mit einer männlich anmutenden Maske - ebenfalls ein deutlicher Hinweis auf sein Leben.
“In meiner Jugend dachte ich, die Transsexualität ist ein Fluch. Heute denke ich, sie ist ein Segen.” Liandro sieht die Zukunft daher positiv und drückt das deutlich aus: “Wenn ich früher vielleicht ein scheiß Mädchen geworden wäre, bin ich heute vielleicht ein besserer Mann.”
Liandro zeigt gerne klare Kante: “Für die dummen Menschen. Ich bin transgender - also bin ich heißer und der bessere Mann” steht auf seinem neuen T-Shirt.
Er fühlt sich seiner Zukunft gewachsen, macht nicht den Eindruck, als würde er damit hadern. Und er weiß auch, was er künftig machen möchte: “Ich möchte zur Bundeswehr” kommt prompt als Antwort auf die Frage nach der beruflichen Zukunft. Er kann sich vorstellen, ins Heer zu gehen oder Panzergrenadier zu werden: “Kleine Menschen passen gut in Panzer.” Im Moment sei er aber wegen des Testosterons gesperrt. “Im Februar 2016 habe ich wieder eine Chance.” Möglich, dass er sie nutzen wird.
Zweieinhalb Jahre nach diesem Bericht haben wir Liandro erneut besucht. Wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen ist, können Sie im Onetz lesen.
“Bei der Stuttgarter Erklärung geht es nicht um Geschlechtsidentität, sondern um die Anerkennung eines Coming-Out als Merkmal einer geschlechtlichen Wahrheit, was dann die Grundlage der medizinischen Behandlung sein soll”, erklärt Kim Schicklang von der Aktion Transsexualität und Menschenrecht (ATME) in Ludwigsburg in einer Stellungnahme zum Artikel. “Genderidentifizierung wird eben genau nicht als Erklärung herangezogen, da es für die medizinische Behandlung keine Rolle spielt, warum jemand transsexuell ist, sondern es nur darum geht, dem Menschen zu helfen.”
Das Wissen, das ein Mensch über sich selbst besitzt, sei anzuerkennen und die Grundvoraussetzung für eine menschenrechtliche medizinische Behandlung. Auch sei es ein Vorurteil, dass ein transsexueller Mann eine “biologische Frau” ist. “Wir halten das, was manche für “biologisch” halten, für kulturell gedeutet - eben gender-gedeutet”, beschreibt Kim Schicklang weiter. Nach Ansicht der ATME geht es darum, diese Deutung wegzulassen, und einen Menschen in seiner Selbstaussage über sein Geschlecht ernst zu nehmen. “Konsequent ist das dann, wenn der Satz ‘ich bin ein Mann’ eines jeden Mannes genau als gleich wahr angesehen wird.” Das heißt, “dass ein Mann, der transsexuell ist, nicht etwa eine Frau mit anderweitiger Gender-Identifizierung ist, sondern ein Mann, der wegen eines körperlichen Bedürfnisses zum Arzt geht”.
Den neuen Begriff Trans* (“Trans Sternchen”) hält Kim Schicklang für “vereinnahmend” und eine neue Bezeichnung für “Othering”, der Distanzierung oder Differenzierung zu anderen Gruppen, um seine eigene “Normalität” zu bestätigen.